Boxen

 

 


Die magische Nacht der fliegenden Fäuste

32 Boxer und 500 Fans machen das Open Air des VfL Leipheim zu einem bayernweit einmaligen Spektakel. Was Spartenchef und Trainer Robert Roh über Träume im Sport und die Auftritte seiner drei Aktiven sagt.

Von Jan Kubica

Leipheim – Als sich die Anspannung und die Aufregung legten nach dieser Sternstunde des Regionalsports, stieg Robert Roh in den Ring, um eine Rede zu halten. Das allein war schon ungewöhnlich für den 44-jährigen Abteilungsleiter und Trainer des gastgebenden VfL Leipheim, denn er ist kein Mann großer und lauter Worte. Umso gewichtiger war, was er zu sagen hatte: „Man sollte nie aufhören zu träumen. Denn wenn einer träumt, trifft er diesen und jenen und den und den – und irgendwann stehen wir hier.“ Das Hier war der Innenhof des Gebäudes 114 auf dem Gelände des ehemaligen Fliegerhorsts. Das Hier war der erstmals unter freiem Himmel veranstaltete Güssen-Cup, eine bayernweit einmalige Veranstaltung, die 32 Kämpfer und 500 Fans anlockte. Und am Ende gab es zumindest aus der Perspektive des Machers lauter Sieger: „Heute hat das Boxen gewonnen und Leipheim und der ganze Landkreis Günzburg. Ich glaube, die Atmosphäre spricht für sich.“

Eine herrliche Sportstätte hatte Robert Roh im Vorfeld angekündigt, es sollte keine Übertreibung sein. Die mit bester Sicht aufs Kampfgeschehen nah am Ring errichteten Tribünen sorgten für atmosphärische Dichte, eine wuchtige Sound-Anlage für die nötige Akustik und die professionelle Lichtshow für Augenschmaus. Auch sonst war alles da, was das „große“ Boxen eben auch ausmacht: Ein Nummerngirl, Flammenwerfer und, über allem stehend, ein bunt gemischtes, sportlich faires und begeisternd mitgehendes Publikum, das dem Regen zum Trotz fast vollständig vor Ort blieb, bis alle Pokale überreicht und alle Dankesworte gesprochen waren. Mittendrin Leipheims Bürgermeister Christian Konrad, ein begeisterter Fan und selbst Boxer im VfL, der ebenfalls die vollen fünf Stunden mitfieberte, einfach weil Boxen nicht nur nach seiner Darstellung „der ehrlichste Sport überhaupt“ ist, sondern weil die Faustkämpfer diese Unterstützung einfach verdient hatten.

Unter unheilvoll drohenden, gewitterschwangeren Wolken ging‘s los und zügig setzte auch der Regen ein – nicht zum letzten Mal an diesem Abend, aber gottlob blieb der richtig fette Niederschlag aus, ging es nach kurzen Unterbrechungen jeweils weiter.

Das Programm konnte sich mehr als sehen lassen. 16 Kämpfe waren angesetzt, von den Schülern bis zu den Elite-Kämpfern, ein Duell zweier junger Frauen war dabei und als zusätzliche Stimmungs-Anheizer drei Kämpfe mit Boxern aus der Schule von Robert Roh.

Als erster seiner Schützlinge stieg Tarik Colo in den Ring. Der 15-Jährige gab in den drei Runden gegen Rafael Mikuleit vom BC Riegel aus Südbaden alles – ebenso wie sein Trainer. Robert Roh lobte, korrigierte, spornte an und mischte per Schattenboxen mit, als würde er seine längst beendete, ruhmreiche Karriere am liebsten noch einmal aufleben lassen. Am Ende gab‘s stürmischen Beifall für den jüngsten Spross der VfL-Talentschmiede, der sein Ringdebüt im Kadetten-Schwergewicht als hochverdienter Punktsieger beendete und sich, kaum dass er den Ring verlassen hatte, zum ersten Mal in seiner erst beginnenden Laufbahn umringt von Fans und Freunden sah. Die Goldmedaille um den Hals, den Siegerpokal in der Hand und einfach nur überglücklich sagte der junge Mann: „Ich bin zufrieden und ich bin stolz auf mich.“ Ein bisschen nervös sei er ja schon gewesen vor seiner Premiere und ein paar erlernte Schläge habe er schlicht vergessen. „Aber mein Trainer Robert Roh hat mir ja alles beigebracht. Vielen Dank an ihn.“

Kein Glück mit dem Kampfgericht war dann dem zweiten Leipheimer im Ring beschieden. Alexandru Urda, der beim Güssen-Cup 2022 einen grandiosen Einstand gefeiert hatte und ein Jahr später schwäbischer Meister geworden war, zeigte im Mittelgewichtskampf gegen Aleksei Ivanov (SSV Ulm 1846) eine tadellose Vorstellung. Obwohl er mit zunehmender Kampfdauer ein wenig abbaute und den einen oder anderen Treffer einstecken musste, hatte er nach Überzeugung des Publikums und auch einiger Fachleute die Nase vorn. Die Punktrichter aber sahen es anders, erklärten Ivanov zum Sieger und der Leipheimer Coach Robert Roh bemerkte wohl nur nach außen hin gelassen: „Ich würde sagen, wir haben keinen Kampf verloren.“

Denn am Erfolg des dritten VfL-Sportlers gab es absolut nichts zu deuteln. Der aus Afghanistan geflüchtete und in Leipheim gelandete Sanaullah Qambari steht ein bisschen für die aktuelle Phase der globalen und regionalen Geschichte, denn er bietet augenscheinlich ein gutes Beispiel dafür, dass Integration kein Zauberwort sein muss, wenn beide Seiten aktiv mittun. Obwohl der Boxer nach wie vor kaum ein Wort deutsch spricht, gibt er sein Möglichstes, um in der Region Fuß zu fassen. Dazu gehört, dass er bei den VfL-Boxern eine sportliche Heimat gefunden hat. Und er dankte es den euphorischen Zuschauern mit einem entschlossenen Kampfstil und einem unbedingt sehenswerten Fight – an dem selbstverständlich auch sein Gegner im Cruisergewicht, Burak Akcil (SSV Ulm 1846), entscheidenden Anteil hatte. In einer Mischung aus Stolz und Rührung nahm Qambari seine Trophäen und die Glückwünsche entgegen. Unterstützt durch einen übersetzenden Landsmann bezeichnete er die Atmosphäre unter freiem Himmel als „richtig gut“. Auf die Frage nach seinem Coach entgegnete er: „Robert Roh ist nicht nur ein sehr netter Mann, sondern auch ein starker Trainer.“

Dieser Fight sollte den emotionalen Höhepunkt der Gala bilden. Entsprechend bewegt äußerte sich Roh in einem ruhigen Moment nach der Siegerehrung. Als er gefragt wurde, ob er denn stolz auf seine drei Boxer sei, entgegnete er: „Ich bin stolz auf uns alle. Boxer, Unterstützer, Sponsoren, Verein, Fans. Jeder leistete einen Beitrag. Ohne diesen kleinen Beitrag von jedem würde das nicht gehen. Und auf das bin ich sehr, sehr stolz.“ Mit einem geradezu spitzbübischen Grinsen reagierte er dann auf die von einem Fan ausgesprochene Hoffnung, das Ereignis möge doch 2025 eine Fortsetzung erfahren. „Darf ich das im kommenden Jahr beantworten? Ich habe immer Träume und Ideen.“ Und dann verabschiedete er sich, um den Augenblick zu genießen.

 

Bildunterschriften:

 
  • Bild rechts außen: Tarik Colo siegte bei seiner Ringpremiere für den VfL Leipheim und war hinterher zu Recht stolz auf seine Leistung.

  • Bild 1 oben: Entschlossen im Vorwärtsgang: Sanaullah Qambari (VfL Leipheim) gewann im Cruisergewicht gegen Burak Akcil (SSV Ulm 1846). Fotos (6): Ernst Mayer

  • Bild 2 oben: Als wolle er noch einmal antreten: Als die Anspannung von ihm abgefallen ist, tänzelt Robert Roh schattenboxend durch den Ring.

  • Bild mitte rechts: Schickes Ambiente: Schon bei der Vorstellung der Boxer war die Arena gut besucht. Letztlich wollten sich 500 Fans das Spektakel anschauen. Und trotz zeitweiligen Regens war die Stimmung überragend.

  • Bild Mitte links: Persönliche Trophäen heimsten Alexandru Urda (bester Techniker) und Maja Aljada (beste Kämpferin) ein.

  • Mussten bei äußerst fair geführten Kämpfen selten regulierend eingreifen – und wenn, taten sie es in sportkameradschaftlicher Weise: Die Ringoffiziellen des Bayerischen Boxverbands.

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